veröffentlicht am Samstag, 18.04.2015 09.22 Uhr
St. Galler Tagblatt
Ein St.Galler Mundart-Song macht die Runde; noch hat ihn kein Radio gespielt und auch nicht das Staatsfernsehen. Wohl liegt's daran, dass der Interpret namenlos ist, obwohl er in vieler Hinsicht dem typischen zeitgenössischen Indierocker entspricht: ein wenig verschupft, leicht genervt, der Look betont unmodisch, die Frise halblang in Richtung Sixties-Pilzkopf.
Dieser Typ hockt mit Akustikgitarre auf einem Bett, er schlägt flotte Riffs an, fast will man mitwippen, aber was zählt, ist der freche Text, und der bewegt anders. Aufgepasst: «Bürgerlich», so heisst das Lied, ist keine Parodie, keine Hommage an St.Galler Barden wie Stoiker oder Stahlberger, sondern ein ernsthafter Wahlkampfsong für den Bernecker Nationalratskandidaten Mike Egger, Präsident der kantonalen Jung-SVP. Zu finden auf dem Youtube-Kanal MikeEggerTV.
Der namenlose Rechte singt gegen die «Allüren der Linken» und wie die «alles nur schlechter» machten. Glasklar auch die weiteren Feindbilder wie der arbeitslose Ausländer oder der Kinderschutzbürokrat – und «der Nachbar ein Kinderschänder», worauf sich dann «permanenter Ständer» reimt. In einem zweiten Song – blochergetreu dem «Volch» gewidmet – gibt's auch einen Reim auf Andrea Caroni, aber lassen wir die Schlüpfrigkeiten.
Im Refrain rücken alle zusammen: «Egal ob gross, klein, anders oder gleich. Wir wählen bürgerlich.» Verbreitet hat den Song nicht die SVP, sondern das St.Galler Kulturlokal Palace in seinem Newsletter: «Im stetigen Bemühen, das einheimische Rockschaffen zu entdecken und zu fördern, wollen wir euch diese Perle nicht vorenthalten.»
«Toller Ohrwurm!» gratuliert auf Youtube die SVP Solothurn. Rechter Indierock? Nicht doch. Das Genre ist eher: Wahlklampf. Oder: Wahlkrampf. Wir freuen uns auf den Einspieler bei Giacobbo/Müller, vielleicht reicht's gar zum Auftritt an der Seite von Thiel oder Freysinger. Wobei wir uns fragen, in welchem grauslig kargen Zimmer dieses Bett steht. Es erinnert doch sehr an eine Zelle. Andererseits wissen wir natürlich: Böse Menschen singen keine Lieder. (mel)