veröffentlicht am Sonntag, 23.12.2012 14.10 Uhr
2012 war bildungspolitisch spannend. Im Kanton St. Gallen wurden die Lehrpersonen entlastet, wenn auch deutlich weniger als der Kantonale Lehrerinnen- und Lehrerverband (KLV) fordert. Auf nationaler Verfassungsebene wurde die Musikinitiative angenommen. Ein Blick in den Nachbarskanton Zürich zeigt, dass das Stimmvolk die Vermischung von Kindergarten und Schule noch viel stärker ablehnt als dies unser Parlament bereits 2011 tat.
Sind wir ehrlich: Wenns um die Anstellungsbedingungen, den Lohn und andere Dinge geht, die den Beruf betreffen, stellt man die eigene Tätigkeit meist als besonders anstrengend und keinesfalls überbezahlt dar. Man will ja auf keinen Fall riskieren, dass irgendetwas im Job verschlechtert wird. Das tut der Maurer, die Coiffeuse, der Spitzenbanker und die Verkäuferin. Nicht mehr und nicht weniger tun es die Lehrer. Im Unterschied zu anderen Berufsgattungen sind sie jedoch gewerkschaftlich sehr gut organisiert: Über 90% der St. Galler Lehrpersonen sind Mitglied des KLV – so auch ich.
Einerseits wird in Lehrerkreisen immer wieder betont, wie viel Arbeit neben dem Unterricht geleistet wird. Die Liste reicht von Räbenliechtliumzügen und Skilagern über Schulanlässe wie Theater und Ausstellungen bis hin zu Anmeldungen für Grümpeliturniere. Daneben steigt der administrative Aufwand seit Jahrzehnten. Immer mehr Kinder werden in Therapien geschickt. Hier soll der Lehrer ein Formular ausfüllen, dort soll die Lehrerin ein Konzept erarbeiten. Und stets kommt wieder eine neue Reform, die alles besser machen soll und am Schluss doch nur Frustration und Enttäuschung zurücklässt.
Andererseits werden in Büezerkreisen die Privilegien der Lehrpersonen aufgezählt: viele Ferien, einen guten Lohn, Mittwochnachmittage frei. Schulhäuser, welche während den Schulferien fast immer leer sind und Lehrer, welche 9 oder 10 Wochen im Jahr in der Weltgeschichte umherreisen werden als Argumente für ein zu leichtes Leben im Schuldienst genannt. Dazu kommen die stetig steigenden Bildungskosten.
Beiden Positionen ist Rechnung zu tragen, wobei die JSVP bei den Lehrpersonen in erster Linie den administrativen Aufwand senken möchte. Die Weihnachtsferien wurden ab 2012 auf zwei Wochen angehoben. Dadurch fallen jährlich rund drei Unterrichtstage weg, was insgesamt ca. 1.5% weniger Unterrichtszeit bedeutet. Auf eine weitere Senkung von einer Lektion pro Woche haben der Kantonsrat und mit ihm die SVP vor allem deswegen verzichtet, weil Teilzeitangestellte dadurch proportional stärker entlastet würden als Vollzeitangestellte. Ein weiser Entscheid. Wie bereits erwähnt, wünscht die JSVP eine Lehrerentlastung auf Stufe Papierkrieg.
Im Rahmen des Sparpakets müssen jetzt Kantonsangestellte den Gürtel enger schnallen. Im Jahr 2013 wird ihnen 1.5% weniger Lohn ausgezahlt. Wie die Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft müssen nun die Kanti- und Berufsschullehrer zeitverschoben mit einer Lohnreduktion leben. Mit zahlreichen Kündigungen von Seiten des Personals ist nicht zu rechnen, da nur wenige einen besser bezahlten Beruf in der Privatwirtschaft finden würden. Auch in diesem Punkt ist die JSVP aus Respekt gegenüber den Privaten zufrieden.
Schwammige Verfassungsänderung
Im September hat das Schweizer Stimmvolk die Musikinitiative deutlich angenommen: Die Musikbildung von Kindern und Jugendlichen soll gefördert werden, der Musikunterricht an Schulen soll hochwertig sein und es sollen Grundsätze für den Zugang der Jugend zum Musizieren sowie die Förderung Begabter festgelegt werden – soweit der neue Bundesverfassungsartikel 67a.
Im Kanton St. Gallen werden Kinder bereits gefördert, der Musikunterricht ist bereits hochwertig und auch heute schon werden Musikvirtuose gefördert. Eigentlich betrifft uns die angenommene Initiative also nicht. Eigentlich. Je nach Auffassung kann der neue Artikel aber so interpretiert werden, dass zur „perfekten“ Förderung neue Fachlehrpersonen ausgebildet werden müssen. Dagegen gilt es anzukämpfen: Erstens entstünden so unnötige Mehrkosten und zweitens hätten besonders Primarschulkinder schon wieder eine neue Lehrerin. Vor allem Knaben und Mädchen mit schwierigen Verhältnissen zu Hause – also die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft – würden darunter leiden, wenn die Klassenlehrerin als Hauptbezugsperson wieder zwei Lektionen weniger für sie da wäre.
Zürcher Stimmvolk spricht klare Sprache
Mit 71% wurde die flächendeckende, mit 55% die freiwillige Einführung der „Eingangsstufe“ deutlich abgelehnt. Damit folgten die Stimmenden des Kantons Zürich beide Male der SVP ZH, welche sich als einzige Regierungspartei auch gegen den Gegenvorschlag stemmte, der es den Gemeinden überlassen hätte, zu entscheiden, ob sie nun die „Eingangsstufe“ einführen sollen.
Was aber ist diese „Eingangsstufe“ ? Die beiden Kindergartenjahrgänge werden in derselben Klasse wie die 1. Klasse unterrichtet. Um doch noch eine minimale Trennung zwischen spielerischem Kindergarten und Schule zu machen, wird die Klasse mindestens die Hälfte der Lektionen von zwei Lehrerinnen unterrichtet. Mehrkosten sowie Verschulung des Kindergartens liegen auf der Hand. Ausserdem ist das Argument, dass auf diese Weise starke Kinder schneller eingeschult werden und Schwächere auch noch ein Jahr länger warten könnten, schlicht und einfach lächerlich, da das Repetieren bzw. Überspringen von Klassen bereits heute möglich ist.
Die angeblich so erfolgreichen Pilotversuche wurden nur von Lehrinnen und Kindergärtnerinnen durchgeführt, welche dieses Modell von Anfang an befürworteten und ideologisch unterstützten. Da ist es ja klar, dass sie auch im Nachhinein noch dafür schwärmen. Viele Lehrpersonen sprachen sich im Vorfeld der Initiative aber dagegen aus.
In St. Gallen wurde ein ähnliches Projekt bereits 2011 verworfen. Die Basisstufe unterschied sich von der Eingangsstufe lediglich darin, dass zum Kindergarten und der 1. Klasse auch noch die 2. Klasse dazukam: Also noch mehr Jahrgänge, noch mehr Kosten, noch mehr Schule im Kindergarten. Beispielsweise wurde in den Pilotklassen vorwiegend Hochdeutsch gesprochen, was gegen den Lehrplan des Kindergartens verstösst.
Im Frühjahr 2011 war ich auf der Zielgerade meiner Ausbildung zum Primarlehrer. Eine Praxisaufgabe in einer Basisstufe zählte zu meinen letzten Arbeiten. Wenige Tage zuvor hat der Kantonsrat unter Mithilfe der SVP-Fraktion den Gegenvorschlag zur Basisstufe abgelehnt, wie es nun 2012 auch 55% der Zürcherinnen und Zürcher taten. Die beiden Lehrpersonen, mit welchen ich zu tun hatte, fluchten wild über diesen Entscheid. Auch der Vorstand des KLV äusserte sich sehr kritisch. Er lag damit jedoch wohl neben den meisten seiner rund 6500 Mitglieder. Hätten diese nämlich mitgezogen, wäre es ein leichtes gewesen, die nötigen 4000 Unterschriften für eine Initiative zur Einführung der Basisstufe zu sammeln.
Die Entwicklung der Bildung in unserem Kanton wird auch 2013 nicht Halt machen. Mögen dabei vor allem Vernunft und nicht ideologisches Denken im Vordergrund stehen!